Leib-Seele-Problem

Leib-Seele-Problem
I
Leib-Seele-Problem
 
(psychophysisches Problem): Das Leib-Seele-Problem spielt in der Geschichte der Philosophie (zu der noch bis in die jüngere Zeit die Psychologie als Disziplin gehört hat) eine wichtige Rolle. Die Frage war, in welcher Beziehung unsere Körperlichkeit zur anscheinend immateriellen seelischen Wirklichkeit steht; denn Leib und Seele gelten in der philosophischen Betrachtungsweise meist als einander wesensfremd und unvereinbar.
 
Zur Lösung des Leib-Seele-Problems wurden verschiedene Theorien entwickelt, u. a. die Theorie des psychophysischen Parallelismus oder die der psychophysischen Wechselwirkung. Diese und zahlreiche andere Auffassungen scheinen sich jedoch der empirischen Überprüfung zu entziehen.
II
Leib-Seele-Problem,
 
psychophysisches Problem, die Diskussion über das Verhältnis zwischen Leib und Seele in den Religionen (Karma, Leib, Samsara, Seele) und der philosophischen Spekulation. In der neuzeitlichen Philosophie ging sie aus der dualistischen Auffassung der Wirklichkeit von R. Descartes hervor, der Leib und Seele als aufeinander nicht rückführbare Substanzen begriff. Die Seele charakterisierte er wesentlich durch Denken, den Leib durch Ausdehnung, konnte aber die offensichtliche Wechselwirkung zwischen beiden nicht zureichend erklären.
 
Den historischen Hintergrund des cartesischen Dualismus bildet die auf die antike Philosophie zurückgehende Unterscheidung zwischen einer unsterblichen Seele und einem vergänglichen Leib. Platon zufolge kann das Wahre, die Ideen, nur dann erkannt werden, wenn die Seele möglichst rein, d. h. abgetrennt vom Leib, ist, denn »der Leib ist der Kerker der Seele«. Aristoteles dagegen betont die Einheit von Leib und Seele und fasst die Seele als erste Entelechie eines organischen Körpers auf. Beide Vorstellungen bestimmten in unterschiedlichen Kombinationen die weitere Entwicklung und prägen bis heute zahlreiche Auffassungen des Menschen.
 
Das cartesische Leib-Seele-Problem hat eine Vielzahl von Lösungsversuchen erfahren, die sich nach der Anzahl der Prinzipien in dualistischen und monistischen einteilen lassen.
 
Zu den dualistischen Theorien zählt der Okkasionalismus von A. Geulincx und N. Malebranche mit der Auffassung, dass vermittels eines göttlichen Eingriffs bei »Gelegenheit« eines psychischen Vorgangs ein entsprechendes physisches Ereignis stattfindet. Der Parallelismus von G. W. Leibniz verneint ein ständiges Einwirken Gottes und nimmt einen geordneten parallelen Ablauf von physischen und psychischen Akten nach einer »prästabilierten Harmonie« aufgrund einer einmaligen Schöpfungstat an, so wie zwei gleichzeitig aufgezogene und aufeinander abgestimmte Uhren. Der meist von Naturwissenschaftlern vertretene Epiphänomenalismus (z. B. E. Haeckel, T. H. Huxley) nimmt an, dass physikalische Ereignisse die Ursache für geistige sein können, aber nicht umgekehrt, und lehrt, dass geistige Ereignisse, auch wenn sie nicht rein physikalischer Natur sind, doch durch naturwissenschaftliche Prinzipien erklärt werden können.
 
Monistische Theorien wenden sich prinzipiell gegen die Annahme von Leib und Seele als zwei verschiedener Substanzen sowie gegen ihre Bestimmung in Kategorien des jeweils anderen. Während der Mentalismus von G. Berkeley versucht, den Begriff der Materie aufzugeben, erklärt der Materialismus von T. Hobbes umgekehrt den Begriff der Seele für überflüssig. Moderne Spielarten des Materialismus sind Behaviorismus, Identitätstheorie und Physikalismus. Der Behaviorismus (J. D. Watson, B. F. Skinner) lehrt, dass die Beobachtung des Verhaltens die einzig zulässigen Daten für die Analyse geistiger Phänomene liefert. Identitätstheorien (z. B. H. Feigl, J. C. Smart, H. Putnam) lassen dagegen Gehirnprozesse als relevant für die Erklärung körperlichen wie geistigen Verhaltens zu und gehen von einer ontisch-faktischen Identität physischer und psychischer Zustände beziehungsweise Prozesse aus. Der Physikalismus behauptet, dass alle Ereignisse letztlich durch die Naturwissenschaften erklärbar sind (ohne dass man eine Identitätstheorie vertreten muss).
 
Für die Sprachanalytiker G. Ryle und L. Wittgenstein stellt das Leib-Seele-Problem ein Scheinproblem dar, das aus Missverständnissen des alltagssprachlichen Redens über geistige Aktivitäten entstanden ist.
 
In der philosophischen Anthropologie des 20. Jahrhunderts versucht M. Scheler den cartesischen Leib-Seele-Dualismus zu überwinden, indem er beide als Leben zusammenfasst und davon den Geist abhebt. A. Gehlen sieht darin nur eine Verschiebung des alten Dualismus zugunsten eines neuen (Leben-Geist), den er durch den Ausgang von der psychophysisch neutralen Handlung zu überwinden trachtet.
 
 
H. Feigl: The »mental« and the »physical« (Minneapolis, Minn., 1967);
 
Modern materialism. Readings on mind-body identity, hg. v. J. O' Connor u. a. (New York 1969);
 
The mindbrain identity theory, hg. v. C. V. Borst (London 1970);
 G. Ryle: Der Begriff des Geistes (a. d. Engl., Neuausg. 1982);
 R. Descartes: Meditationen über die erste Philosophie (a. d. Frz., Neuausg. 1985);
 A. Gehlen: Der Mensch (131986);
 J. Seifert: Das L.-S.-P. u. die gegenwärtige philosoph. Diskussion (21989);
 H. Fischer: Zur Ganzheit von Körper, Seele u. Geist (1994);
 M. Scheler: Die Stellung des Menschen im Kosmos (131995);
 K. Vogeley: Repräsentation u. Identität. Zur Konvergenz von Hirnforschung u. Gehirn-Geist-Philosophie (1995).

Universal-Lexikon. 2012.

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